Smiling Gecko Schule und Kindergarten
Hoffnungsträger mit schwerem Rucksack
«Man muss unsere Kinder nicht zum Lernen anhalten. Sie wollen lernen», sagt unserer Lehrerin Sovann. Unter welch schwierigen Bedingungen dies allerdings tagtäglich geschieht, lesen Sie im zweiten Teil unseres grossen Lehrerinterviews. Wir möchten Ihnen auch diese Story sehr ans Herz legen. Weil sie wieder viele Insights und spannendes Hintergrundwissen zur Schule und zum Leben rund um den Campus bietet.
Das ist interessant. Da habe ich von anderer Seite und vor allem von unseren Kindern ganz andere Geschichten gehört. Die sprachen von hohen versteckten Gebühren, welche ihre Familien für die Ausbildung zahlen müssten. Zum Beispiel für die Unterrichtsmaterialien, die Schulkleidung und häufig genug auch als direkte (illegale) Zahlung an die Lehrerkräfte, die so ihren kargen Lohn zumindest etwas aufbessern. Aber gut: Wie so vieles in Kambodscha liegt die Wahrheit vermutlich irgendwo in der Mitte. Ganz abwegig kann die Behauptung mit den Schulgebühren (die Rede ist von bis zu 700 $ im Jahr) aber nicht sein. Wie sonst liesse es sich erklären, dass so viele Familien ihre Kinder gar nicht oder nur kurz in die Schule schicken?
Dann äussert sich Vat über die allgemeine Qualität der Schulen. Und spätestens da werde ich wirklich hellhörig. Die scheint nämlich überaus schwankend zu sein – um es nett auszudrücken. Natürlich gibt es da das nationale «Khmer Curriculum», in dem genau definiert ist, welche Inhalte die Kinder in den einzelnen Schuljahrgängen lernen müssen. Nur fehlt es an der Kontrolle durch staatliche Stellen, ob eine Schule den vorgegebenen Stoff eines Jahres auch wirklich vermittelt hat. Problematisch, aber die Aussage deckt sich voll mit unseren Erfahrungen aus dem Jahr 2017, als wir für unseren ersten Schuljahrgang Kinder von staatlichen Schulen übernommen haben. Wir mussten damals durchaus überrascht feststellen, wie unterschiedlich das Niveau an Vorbildung gewesen ist. Wir haben in dieser Zeit Kinder gesehen, die teilweise bereits drei Jahre zur Schule gegangen sind und bei uns trotzdem zurück in die 1. Klasse mussten. Ganz einfach, weil sie bis dato keinerlei verwendbares Wissen erlangt hatten.
An dieser Stelle hake ich nicht nach, weil ich das Gefühl habe, Van ist es ein bisschen peinlich, gegenüber einem Europäer über das kambodschanische Schulsystem herzuziehen. Ich frage ihn stattdessen, ob er das Gefühl hat, der Campus mit seinen unterschiedlichen Angeboten könnte für unsere Schulkinder ein Ort der Inspiration sein. Seine Antwort kommt umgehend und ist völlig anders, als von mir erwartet:
«Unsere Kinder sind arm. In den Familien herrscht Hunger. Viele Eltern trinken und sind gewalttätig gegenüber dem eigenen Nachwuchs.»
«Wir haben hier alles für die Kinder. Sie bekommen genug Essen und erhalten Ganztagsunterricht. Völlig anders als an den Öffentlichen Schulen.»
Aber auch für die Lehrer selbst ist unsere Schule ein besonderer Ort. Sovann erwähnt ihre Gehbehinderung, mit der sie andernorts niemals eine Anstellung gefunden hätte. Auch schätzt sie es sehr, sich durch ihren Job bei Smiling Gecko selbst weiterentwickelt zu haben. Als Beispiel nennt sie ihre Englischkenntnisse, die sie erst bei uns wirklich erlangt hat. Und die sind ziemlich gut, finde ich. Wir brauchen keinen Dolmetscher, sondern führen das Interview ohne Probleme auf Englisch.
Auch Sovann konfrontiere ich mit einer kritischen Anmerkung, die wir in Europa bezüglich unserer Schule immer mal wieder hören. Es geht um das tägliche Duschen und die Reinigung der Schuluniformen. Sie schüttelt den Kopf und sagt dann: «Weisst du, die hygienischen Bedingungen hier auf dem Land sind sehr problematisch. Viele Menschen sind deswegen krank. Wenn unsere Kinder nicht sauber sind, werden sie auch krank. Dann können sie nicht in die Schule gehen und lernen nichts. Und natürlich ist es völlig ausgeschlossen, dass die Familien ein krankes Kind richtig versorgen könnten. Wir müssen uns kümmern, sonst erreichen wir unsere Ziele nicht.»
Sam, den ich später noch interviewen werde, meldet sich zu Wort. «Wenn wir den Eltern die Schuluniformen zum Waschen geben würden, wären sie in kürzester Zeit unbrauchbar. Weil die Mittel fehlen. Das wäre viel teurer.»
Als Letztes befrage ich Sovann zu ihren persönlichen Erfahrungen in Bezug auf unseren ‘Ein Kind pro Familie‘ Ansatz. Ist das ein Problem im Gespräch mit den Eltern?
Jein. Natürlich würde sie privat immer wieder gefragt, ob Familien aus ihrer Nachbarschaft nicht vielleicht doch auch ihre anderen Kinder zu uns schicken dürfen. Sie antwortet dann immer: Wir wollen möglichst vielen Familien in den Gemeinden rund um den Campus helfen. Das wird verstanden. Auch erleben die Eltern zu Hause, wie eifrig unsere Schulkinder das Erlernte an die Geschwister weitergeben. Diese letzte Aussage deckt sich mit dem, was mir die Kinder selbst erzählt haben: Alle sprachen davon, ihre Geschwister zu unterrichten. Schön!

«Die Kinder brauchen unsere soziale Unterstützung. Sie müssen das Gefühl erhalten, die Schule ist ein sicherer Ort. Zu Hause ist es nicht sicher. Sicherheit ist wichtiger als Ausbildung.»
Wer Geld hat, geht Bier kaufen.»
Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, bedarf es eines politischen Commitments. Einer echten Anstrengung, etwas verändern zu wollen und nicht nur darüber zu sprechen. Die sieht Sam allerdings bisher noch nicht. Im Kleinen würde es darum unsere Schule übernehmen, zumindest die Eltern davon zu überzeugen, wie wichtig Bildung ist. Mit Erfolg. So liegt zum Beispiel die Anwesenheitsquote an unserer Schule bei 97,3 %, während öffentliche Schulen hier meist kaum auf eine Quote von 40 % kommen.
Als Nächstes konfrontiere ich Sam mit einem weiteren Bedenken, das in der Schweiz häufig gegenüber der Nachhaltigkeit unserer Schule geäussert wird: Welchen Sinn macht es, eine aufwendig geführte Schule zu betreiben, wenn die Kinder nach ihrem Abschluss in die Städte oder gar ins Ausland ziehen würden?
Für Sam ist das kein Thema. Er geht davon aus, dass auch die erfolgreichsten Schülerinnen und Schüler eine dauerhafte Verbindung in die Region haben werden. Ansonsten ist es ihm persönlich aber eigentlich auch egal, ob sie hier leben oder anderenorts. Sein Ziel ist es, den Kindern das Rüstzeug mitzugeben, um sich selbst aus der Armut zu befreien. Seine Vorstellung: Sie haben eine Arbeit. Sie haben eine Familie. Sie verursachen keine Aufwände für den Staat. Und genau dafür gäben er und seine Kolleginnen und Kollegen jeden Tag alles. Unsere Schule mag noch nicht alt genug sein, um den Beweis für die Richtigkeit dieser These leisten zu können, aber es gibt andere Beispiele. Etwa die bereits 2004 gegründete australisch-kambodschanische NGO «Cambodian Children’s Fund», dessen erste Jahrgänge bereits die Universität abgeschlossen haben.
Als Letztes will ich von Sam wissen, ob es vorkommt, dass Kinder unsere Schule vorzeitig verlassen. Er nickt. Ja, das gibt es. Wenn auch selten. Der Grund ist immer der gleiche: Die Eltern finden in Thailand oder in Phnom Penh einen Job und es gibt keine anderen andere Verwandten, die bei uns in der Umgebung leben und sich um die Kinder kümmern könnten. Letzteres ist allerdings durchaus häufiger der Fall. Die Kinder sind zum Beispiel bei den Grosseltern und die Eltern sehen sie nur an Wochenende oder zu grossen Feiertagen, wenn sie nach Hause kommen.
In diesem Zusammenhang wichtig zu wissen: Die Menschen in Kambodscha sind sehr auf ihre Familien fixiert. Unabhängig davon wie arm eine Familie auch sein mag und wie schlecht die Lebensbedingungen sind: Sie wollen immer in der Grossfamilie zusammenleben. Für Sam ist dies eine der Nachwirkungen des Regimes der Roten Khmer. Die haben Familien seinerzeit ganz bewusst auseinandergebracht, in dem zum Beispiel Eheleute in unterschiedliche Regionen des Landes deportiert wurden. Die Angst, dies könnte sich wiederholen, ist immer noch omnipräsent.
Was für eine schreckliche Vorstellung. Aber umso mehr drücken wir unseren Kindern und Lehrerkräften die Daumen, das Leben ausserhalb des Campus möge eines Tages zumindest annähernd so sein, wie sie es bei uns erleben. Sie haben es alle verdient.