Immer auf die Lehrer hören!
Unser Kommunikationsleiter Jörg hat in Kambodscha kurze Interviews mit einigen unserer Lehrkräfte geführt, um zu verstehen, was unser Schulprojekt so einzigartig macht. Er wollte wissen, wo die Unterschiede zu Schulen in entwickelten Ländern liegen und welche Herausforderungen sich in einem so armen Umfeld wie dem Smiling Gecko Campus ergeben. Das Ergebnis hat er für das Campus-Magazin in einer zweiteiligen Story zusammengefasst, deren erster Teil hier nun vorliegt.


«Die Kinder kommen aus zwei Gründen jeden Tag zu uns in die Schule: Weil sie gerne lernen und weil sie hier die Liebe bekommen, die ihnen zu Hause von ihren Eltern oft nicht entgegengebracht werden kann.»
«Zuhause erhalten die Kinder keine Wärme. Sie werden nicht in den Arm genommen oder ähnliches. Darum ist für die Schule so wichtig. Hier erhalten sie das, was ihnen fehlt.»

Das habe ich doch so ähnlich schon von Susan gehört. Ich hake nach und erhalte ein Beispiel. Amy erzählt von einer Begebenheit, bei der sie ein Kind gefragt hat, ob es von den Eltern hören würde, dass sie es liebhaben. Das Kind hätte nur verlegen lächeln können. Andere wurden deutlicher: Sie geben gegenüber der Lehrerin offen zu, das familiäre Fürsorge und Liebe nicht existent sind.
Krass. Aber damit wir uns richtig verstehen: Weder Amy noch Susan machen den Eltern einen Vorwurf. Sie beschreiben einfach nur die Realität und ihren Alltag.
Ich bin dankbar für diese Einsichten. Denn, wer wie ich, die Kinder bei einem Besuch auf dem Smiling Gecko Campus nur aus der Distanz über den Schulhof tollen sieht, bekommt definitiv nicht das richtige Bild. Apropos Campus: Ich frage Amy nach ihrer Meinung, in wie weit der Campus mit seinen verschiedenen Ausbildungsstätten den Kindern helfen wird, wenn es eines Tages um die eigene Berufswahl geht. Er hilft sehr, findet Amy. Sie sagt, Kinder, die neu zu uns kommen, wollen eigentlich alle in der Fabrik arbeiten – so wie es andere Mitglieder in ihren Familien tun. Sie wollen Farmer werden und vielleicht maximal noch Coiffeurinnen oder Coiffeure. Weil das nun mal die Berufe sind, die sie aus ihrem wahnsinnig eingeschränkten Umfeld kennen. Amy sieht es als ihre Aufgabe, den Horizont der Kinder zu erweitern. Ihnen eine Welt zu eröffnen, sie zu inspirieren. Und das schein zu klappen! Plötzlich wollen die gleichen Kinder zum Beispiel Krankenschwestern werden oder Polizisten. Und warum dürfen Kinder nicht auch in Kambodscha davon träumen, Sängerin oder Fußball-Profi zu werden? Die Träume gibt es. Ich selbst habe sie gehört, als ich mich mit einigen Jungen und Mädchen aus der 6. Klasse unterhalten habe. Was übrigens problemlos auf Englisch geht. Auch dazu habe ich mit Amy gesprochen und sie gleichzeitig mit dem Vorwurf konfrontiert, es gäbe immer wieder Bemerkungen aus Europa, unsere Schule wäre zu teuer.
Ihre Meinung dazu: «Die Herausforderung ist, dass wir eben nicht in ein Business investieren, wo man das Ergebnis schnell sieht, sondern in unsere Kinder. Das braucht Zeit. Aber wir sind bereits in der 6. Klasse und in wenigen Jahren werden wir wissen: Unsere Schule ist nicht zu teuer. Weil wir in eine Ausbildung investiert haben, mit der aus vollständig unterprivilegierten Kindern grossartige Erwachsene mit besten Berufsaussichten werden.» Dazu gehört für Amy auch der zweisprachige Ansatz aus Khmer und Englisch, ohne den unsere Kinder nicht die gleich guten Chance auf eine erfolgreiche Zukunft hätten. Sie ist davon überzeugt: Die Globalisierung macht auch vor Kambodscha keinen Halt. Englisch ist die Vorrausetzung für eine Chancengleichheit. Und dabei geht es für sie im Unterricht nicht darum, irgendwelche Vokabeln auswendig zu pauken oder nur die Grammatik zu lernen, sondern um die Anwendung der Sprache. Die Kinder sollen die Sprache verstehen, nicht nur sprechen.
Ein starkes Statement einer wirklich eindrücklichen Persönlichkeit. Aber kommen wir zum nächsten Lehrer. Und damit zu Eric, unserem Bibliothekar aus den USA. Ich erlebe ihn als ruhigen Zeitgenossen, der mit wachen Augen über den Campus geht und einen beeindruckenden Umgang mit den Kindern hat. Im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrkräften, sieht Eric alle Klassen jeweils nur ein Mal pro Woche. Wenn sie für ihren Unterricht zu ihm in die Bibliothek kommen. Wie praktisch alle internationalen Lehrer hat auch Eric bereits an anderen Schulen und in anderen Entwicklungsländern gearbeitet. So war er bereits Lehrer in Phnom Penh und auf den Marschallinseln, einem Kleinstaat im Südpazifik, der im HDI (Human Development Index) nur weniger Plätze vor Kambodscha liegt. Ein Profi.
Auf meine Frage, warum er den Job bei uns angenommen hat, berichtet er davon, bei uns die Chance bekommen zu haben, als Bibliothekar eine kleine Bibliothek aufzubauen. Er spricht von der Faszination, unseren Kindern die englische Sprache und Literatur allgemein näher bringen zu können. Dabei leuchten seine Augen. Ich frage Eric, welche Herausforderungen er im Umgang mit unseren Kindern sieht. Darauf antwortet er:
«Die Kinder kommen aus dem Nichts. Sie mögen eine Familie haben, aber ansonsten fehlt ihnen praktisch alles. Es gibt nichts, auf dem man an Anfang aufbauen kann…»

Eric
Er ergänzt, die Kinder haben glücklicherweise, oder vielleicht auch gerade deswegen, einen unstillbaren Hunger nach Wissen. Sie wollen lernen. Er ist glücklich erleben zu dürfen, wie sie sich entwickeln. Welchen Enthusiasmus sie für alles haben, was mit der Schule zu tun hat.
Ich frage Eric, ob und wie sich unsere Kinder von den Kindern an seinen bisherigen Schulen unterscheiden. Er findet, sie sind deutlich respektvoller ihren Lehrern gegenüber. Auch gäbe es keine Disziplinlosigkeiten wie andernorts. Und noch mal betont er, wie unglaublich ambitioniert und motiviert die Campus-Kids sind.
Als nächstes spreche ich mit Susan aus Südafrika, die ich vorhin bereits zitiert habe. Als Lehrerin in der Pre-School unterstützt sie unseren Ansatz sehr, bereits die Allerkleinsten an die englische Sprache zu gewöhnen. Die Erfolge wären offensichtlich. Kinder, die mit drei Jahren zu uns kommen, saugen die Sprache in sich auf. Es ist unglaublich zu erleben, wie schnell sie das Englische verstehen und sprechen.
Auf meine Frage, wie sich der Unterricht bei uns gegenüber dem an ihrer letzten Schule in Phnom Penh unterscheidet, erwähnt sie die bei uns im Vordergrund stehende spielerische Vermittlung von Wissen. Eine gute Idee, wie Susan meint. Denn die Kleinen wäre nur sehr kurz wirklich «Kinder». Und wir sollten diese Zeit gemeinsam mit ihnen verbringen, um sie ihre Kindheit bewusst erleben zu lassen.
«Im Vergleich zu den Stadtkindern sind unsere natürlich viel ärmer, aber bei genauer Betrachtung vielleicht gerade deswegen deutlich reicher. Weil sie alles anders wertschätzen können. Sie kommen mit einem Lächeln in die Schule und sind einfach unendlich dankbar für alles, was wir für sie tun.»

Susan
Nachdenklich wird sie bei meiner Frage, nach den familiären Backgrounds unserer Kinder. Sie überlegt kurz und erzählt dann folgendes Erlebnis: «An einem Freitagnachmittag habe ich die Kinder gefragt, was sie am Wochenende machen werden. Einige antworteten, sie würden ins nächste Dorf zum Einkaufen fahren. Anderen wollten den Müttern beim Kochen helfen oder auf die Kühe aufpassen. Ein Junge sagte aber auch, er müsse aufs Reisfeld, um dort am Wochenende zu arbeiten. Damit hatte ich nicht gerechnet, immerhin reden wir hier von Kindern im Alter von maximal vier Jahren. Darum erkundigte ich mich bei nächster Gelegenheit bei den Eltern. Diese erklärten mir: Ja, der Junge würde jedes Wochenende arbeiten. Das war sehr emotional für mich.»
Zum Abschluss frage ich Susan, was sie sich für ihre Kinder wünschen würde, wenn eine gute Fee ihr einen Wunsch erfüllen würden. Sie überlegt kurz und sagt dann schmunzelnd, das wäre sicher ein Spielplatz für die Jüngsten. Die Kinder hätten sie schon mehrfach darauf angesprochen. Auch hätten sie viele Bilder von Spielplätzen gemalt und ihr gezeigt.
Es ist schön zu sehen, dass sich auch die Wünsche der Kinder in Kambodscha nicht allzu sehr von denen der Kinder in den Industriestaaten unterscheiden. Aber auch traurig, weil wir wissen, wie viel schwieriger sich diese Wünsche erfüllen lassen.
Wird fortgesetzt.