Smiling Gecko Campus
Die Gesichter der Armut
Ein Gespräch mit unserer Sozialarbeiterin Sopheary
In unseren Lehrerinterviews haben wir viel über die Armut und Perspektivlosigkeit im Umfeld des Smiling Gecko Campus gehört und welchen Herausforderungen sich die Lehrerschaft und natürlich die Kinder täglich stellen müssen. Wir wollten mehr über die Situation in den Familien wissen und haben uns darum zu einem Interview mit Srunn Sopheary getroffen, die als Sozialarbeiterin jeden Tag im Umfeld des Campus unterwegs ist und für uns eins der wichtigsten Bindeglieder zwischen der NGO und den Familien ist.
Bei einer Tour in der Gegend rund um unseren Campus fallen die vielen Menschen auf, die sich im und um die Hütten am Wegesrand versammeln. Wie müssen wir uns eine typische Familie hier in der Gegend vorstellen?
In den Gemeinden rund um den Campus gibt es ein breites Spektrum an familiären Konstrukten. Häufig lebt eine Kernfamilie zusammen, die aus sechs bis acht Mitgliedern besteht. Aber durch die finanziellen Zwänge sind auch grössere Haushalte mit zehn und mehr Mitgliedern nicht unüblich. Hier leben dann zumeist mehrere Generationen unter einem Dach.
Für uns ist ein solches Leben einfach unvorstellbar. Im ländlichen Kambodscha ist es die Regel. Bleiben wir bei dem, was für uns nicht vorstellbar ist: Nach Schätzungen der Weltbank liegt das kaufkraftbereinigte Durchschnittseinkommen in Kambodscha bei 4’430 $ im Jahr, also ungefähr 370 $ im Monat. Das ist schon sehr wenig, aber angesichts der Lebensbedingungen hier scheint es fast ein bisschen hochgegriffen zu sein.
100 $ im Monat? Das kann ja gar nicht funktionieren. Wie viel Geld braucht es, um eine normal grosse Familie einen Monat lang mit den wichtigsten Lebensmitteln zu versorgen? Wie viel kostet zum Beispiel ein Kilo Reis? Wie viel der Liter Pflanzenöl. Ein Huhn, das Gemüse?
Ein Kilo Reis kostet 0.60 $, ein Liter Pflanzenöl 2,25 $. Ein Kilo Hühnerfleisch liegt bei 5,50 $, ein Kilo Fisch bei 4,50 $, die gleiche Menge an Gemüse kostet rund 1,50 $ und selbst ein Hühnerei kostet schon 0,15 $. Rechnet man diese Kosten auf die Grössen der Familien, dürfte alleine der essenzielle Lebensmitteleinkauf bei rund 150 $ im Monat liegen.
Das bedeutet also, viele Familie verfügen nicht über genügend Geld, um ausreichend Lebensmittel zu kaufen. In diesem Zusammenhang muss ich an meinen ersten Besuch in der Schule denken. Es war ein Montag und mir ist aufgefallen, dass einige der Kinder beim allmorgendlichen Fahnenappell sehr müde wirkten. Ich fand das niedlich. Bis ich gehört habe, warum die Kinder so lethargisch waren: Sie hatten seit ihrer letzten Schulmahlzeit am Freitag nicht mehr ausreichend zu essen bekommen, weil es in den Familien nicht für alle reicht und sie ja in der Schule etwas erhalten würden. Ich habe mich sehr geschämt. Und ich beneide dich wirklich nicht um deinen Job als Sozialarbeiterin. Auch wenn ich mir noch nicht so recht vorstellen kann, wie deine Tätigkeit wirklich aussieht. Vielleicht magst du uns ein bisschen erzählen, welchen Herausforderungen du dich täglich stellen musst.
Die Menschen hier haben häufig massive Kommunikationsprobleme, was meinen Job sehr anspruchsvoll macht. Für dich ist das vermutlich schwer zu verstehen, aber wem es an Allgemeinbildung fehlt, der hat auch grosse Schwierigkeiten, sich zu verständigen oder auszudrücken. Das stelle ich auch immer wieder fest, wenn ich mich mit den Familien über ihre Rechte und Pflichten als Bürger unterhalte. Sie kennen weder das eine noch das andere und es fällt ihnen schwer, komplexere Zusammenhänge zu verstehen. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass die Familie die wenigen staatlichen Hilfestellungen nicht in Anspruch nehmen, weil sie sich nicht vorstellen können, wie diese Hilfen aussehen. Auch innerhalb der Familien und in den Gemeinden gibt es immer wieder Problem, weil es an einer gemeinsamen Sprache fehlt. Beziehungsweise das Verständnis für Zusammenhänge einfach nicht vorhanden ist. Die Menschen hören zwar, was du sagst, aber sie verstehen häufig nicht, was du damit ausdrücken willst. Das macht es natürlich noch schwieriger, sie sinnvoll zu unterstützen. Für die Bewältigung dieser Herausforderungen braucht es eine Kombination aus Geduld und Einfühlungsvermögen. Und es hilft sicherlich, wenn du die kulturellen Hintergründe und Besonderheiten hier kennst.
Das stelle ich mir sehr anspruchsvoll vor. Und da komme ich gleich zu einem weiteren heiklen Punkt. Die Lehrerinnen und Lehrer haben immer wieder von Problemen mit häuslicher Gewalt und Alkoholmissbrauch gesprochen.
Ja, es passieren viele Dinge, die nicht zu akzeptieren sind. Und der Alkohol ist dabei oft ein Thema. Es gehört zu den wirklich schlimmen Begleiterscheinungen meines Jobs, wenn ich von Fällen erfahre, bei denen Familien betroffen sind, die durch Smiling Gecko unterstützt werden. Es ist frustrierend und kann entmutigend sein, wenn Menschen selbst den einfachsten Hilfestellungen nicht folgen können, weil sie Schwierigkeiten haben, Anleitungen zu verstehen und umzusetzen.
Kannst du uns hier ein Beispiel nennen?
Nehmen wir die Familien, die sich zu spät an uns wenden, wenn sie sich in einer finanziellen Krise befinden. Statt mit uns rechtzeitig nach einer Lösung zu suchen, verschlimmern sie ihre ohnehin schwierige Situation durch die Aufnahme von zusätzlichen Microkrediten mit ruinösen Zinssätzen. Da kann dann selbst die Anschaffung eines gebrauchten Motorrollers ins Desaster führen. Zum Beispiel im Verlust des eigenen Ackerlands.
Brutal. Aber es gibt hoffentlich auch schöne Momente in deiner täglichen Arbeit. Vielleicht magst du uns davon auch etwas erzählen.
Ja, die gibt es natürlich auch. Zum Beispiel wenn ich unsere Kinder in die Schule gehen sehe. Und natürlich die Situationen, in denen ich die positiven Auswirkungen meiner Bemühungen als Sozialarbeiterin spüre. Dabei zu sein, wenn die Familien kleine Momente des Glücks und des Fortschritts erleben, ist unglaublich belohnend. Wenn ich sie dabei beobachte, wie sie Schritte in Richtung Selbstbestimmung unternehmen, wenn sie Fähigkeiten erwerben und positive Veränderungen in ihrem Leben gelingen, dann bestätigt das den Wert meiner Arbeit. Ihr Lächeln und ihre Erfolgserlebnisse zu sehen, ist eine Quelle der Inspiration und Erfüllung, die mich in meiner Arbeit motiviert.
Ich möchte gerne meine Fähigkeiten und mein Wissen als Sozialarbeiterin kontinuierlich verbessern. Ich würde in Fortbildungen und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten investieren, die es mir ermöglichen, die Menschen und Familien noch effektiver und wirkungsvoller zu unterstützen. Mein grösster Wunsch für meine Arbeit wäre es, wesentliche positive Veränderungen im Leben aller begünstigten Familien zu erleben. Wie schön wäre es, wenn die Menschen in der Umgebung des Campus alle einen Zugang zu hochwertiger Bildung und Berufsausbildung hätten sowie Ressourcen, die sie in die Lage versetzen, stabile und nachhaltige Einkommensquellen für die gesamte Gemeinschaft zu schaffen. Ich stelle mir florierende lokale Unternehmen, Kooperationen und Initiativen zur gemeinsamen Nutzung von Fähigkeiten vor, die nicht nur einzelne Familien, sondern auch das kollektive Wohlergehen der Gemeinschaft fördern.
Liebe Sopheary, du darfst dir sicher sein, dass wir auch weiterhin alles tun werden, damit deine Wünsche in Erfüllung gehen.